Posted on September 13, 2018, von & gespeichert unter ICAHD Newsletter.



Amos Gvirtz

Es ist interessant, den Prozess der Kriminalisierung des Opfers zurückzuverfolgen und zu untersuchen, wie das im Falle der Negev-Beduinen, insbesondere im Falle des Scheichs Sayakh aus Al Araqeeb, geschieht.
Über Hunderte, vielleicht Tausende von Jahren haben die Beduinen im Negev gelebt. Das Wüstenklima zwang die meisten, wenn nicht gar alle dazu, einen nomadischen und, im Lauf der Zeit, halb-nomadischen Lebensstil anzunehmen: Während der Regenzeit lebten sie ortsfest, während der Trockenperiode zogen einige umher auf der Suche nach Weideland für ihre Schafe und Ziegen. Soweit ich weiß, haben in der uns bekannten Geschichte die jeweilgen Herrscher des Landes nie versucht, die Beduinen daran zu hindern, ihren einzigartigen Lebensstil zu führen. Das ist nicht so im Falle des Staates Israel.
Während des Unabhängigkeitskrieges (1948) wurden die meisten Beduinen vom Land vertrieben. Und selbst nach dem Waffenstillstand gingen die Deportationen weiter, bis 1959.
In den 50iger Jahren wurden die meisten Beduinen, die noch verblieben waren, in die Gegend von Sayag im Süden der West Bank getrieben.
Der Staat weigerte sich, die Beduinenansiedlungen, die dort vor der Staatsgründung existiert hatten, anzuerkennen. Er versagte auch denjenigen Dörfern den legalen Status, die er dort selbst, im Rahmen der Umsiedlung der Stämme (unter Aneignung ihres Landes) in der Gegend von Sayak gegründet hatte. Der größte Teil des Negev, der den Beduinen als Weideland gedient hatte, wurde enteignet und seine Nutzung für Beduinen verboten.
Gegen Ende der 60iger Jahre began der Staat dann damit, alle Beduinen in Townships zu konzentrieren. Mit anderen Worten: Israels Regierung ist die erste Regierung, die der Existenz und dem einzigartigen Lebensstil der Beduinen einen tödlichen Schlag versetzt.
Wie jede Gesellschaft neigen auch wir Israelis dazu, uns selbst zu sagen, dass wir die Guten und dass unsere Feinde die Bösen sind. Was tun wir also, wenn, an normalen Maßstäben gemessen, das, was den Beduinen angetan wurde und noch angetan wird, kriminell ist und uns somit zu den Bösen macht, und sie zu den Opfern?
Wir schaffen ein Narrativ und einen gesetzlichen Dunstschleier, mit dessen Hilfe die ursprüngliche Bevölkerung des Negev zu Kriminellen gestempelt wird, nur weil sie versucht, ihr Land und ihre Lebensweise zu verteidigen.
Das nenne ich die Kriminalisierung des Opfers.
Nach der Staatsgründung wurden alle arabischen Einwohner, die im Lande verblieben, unter Militärrecht gestellt. Hierdurch wurde die Möglichkeit für die Beduinen, nach Weidegründen für ihre Herden zu suchen, eingeschränkt. Darüberhinaus wurden weite Landstriche enteignet und in Staatseigentum überführt, wodurch sie faktisch als Weideland wegfielen.
Anders als alle vorherigen Mächte weigert sich die israelische Regierung, den traditionellen Landbesitz der Beduinen anzuerkennen. Besitzrechte werden nur akzeptiert, wenn das Land schon von der ottomanischen Landbehörde registriert worden war. Die Mehrheit der Beduinen hatte aber ihr Land nicht registrieren lassen und sich auf den traditionellen Besitz nach Gewohnheitsrecht verlassen.
Dann behauptete die Regierung vor Gericht, dass, da die Beduinen Nomadens seien, sie nur einen unsichere Bindung zu dem Land hätten. Auf diese Weise schaffte die Regierung eine legale Grundlage für Präzedenzfälle, in denen den Beduinen das traditionelle Besitzrecht abgesprochen wurde. Das Recht der Beduinen auf ihrem Land zu leben, wurde nur anerkannt, wenn sie nachweisen konnten, dass sie darauf ununterbrochen seit 1858 (dem Jahr, als der ottomanische Staat sein Landgesetz inkraft setzte) gelebt hatten.
Auf diese Weise wird jeder Beduine, der darauf besteht, sein traditionelles Besitzrecht für sein Land wahrzunehmen, zum Kriminellen. Wie ist das zu verstehen angesichts der Tatsache, dass vor der Staatsgründung die zionistische Bewegung Land, das die Beduinen im Negev auf traditionelle Weise besaßen, von ihnen kaufte?
Der Staat erkennt die Dörfer der Beduinen in der Sayak Gegend nicht an. Vielmehr erklärte er es mithilfe von Planungs-und Baugesetzen zu Ackerland, auf dem nicht gebaut werden darf. Und so wurde dann jeder Beduine, der sein grundlegendes Menschenrecht auf ein Dach über dem Kopf wahrnehmen wollte, zum Kriminellen erklärt. Bis heute werden die Beduinen, gezwungen ihre Ansiedlungen zu verlassen und in die Townships zu ziehen, die für sie errichtet worden sind, zu internen Flüchtlingen. Nur dann sind sie keine Kriminellen.
Natürlich muss man Kriminelle bekämpfen. Deshalb wurde die Eliteeinheit Yoav gegründet: sie soll die Evakuierung und Umsiedlung dieser “Kriminellen”, deren einziges Vergehen darin besteht, Beduinen im jüdischen Staat zu sein, durchsetzen und überwachen.
Obwohl das Urteil im Prozess über die Landbesitzrechte des Scheichs Sayakh nicht nicht gefällt worden ist, hat das Bezirksgericht von Beesheba bereits entschieden, dass Scheich Sayakh aus Al-Araqeeb ein Krimineller ist, der eine zehnmonatige haftstrafe abzusitzen hat. Sein Vergehen: Die Weigerung, das ungeheuerliche Dekret zu akzeptieren, das die Wegnahme seines Landes und die Zerstörung seines Dorfes ermöglicht. Er besteht auf seinem Recht, auf seinem land zu leben und seinen traditionellen Lebensstil beizubehalten. Das macht ihn im Staat Israel zu einem Kriminellen.