Posted on Januar 5, 2018, von & gespeichert unter Amos‘ News.


von Amos Gvirtz
Amos Gvirtz ist ein israelischer Menschenrechtsaktivist und Mitbegründer des israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD)

Gemäß dem Urteilsspruch des Richters Yoav Atar vom Beer Sheva Bezirksgericht ist Scheich Sayah Abu Medigham Al Touri ein Krimineller, der eine 10-monatige Gefängnisstrafe verdient, weil er auf ein Land eingedrungen ist, das seiner Meinung nach ihm gehört. Dieses Urteil wurde gefällt noch ehe das Gericht zu einer Entscheidung über die Besitzansprüche dieses Landes kam. Der Richter urteilte, das Scheich Sayah für 10 Monate ins Gefängnis gehen und eine Strafe von 36 000 Schekel bezahlen muss, zusätzlich bekommt er eine fünfmonatige Gefängnisstrafe auf Bewährung falls er wieder das Gebiet vonAl Araqib betritt.
Dies ist Land, welches Scheich Sayahs Urgroßvater 1905 von jemandem vom Al Uqbi Stamm um das Gebiet von Al Araqib herum kaufte. Im Jahre 1952 sagte der israelische Militärgoverneur dem damaligen Scheich des Stammes, dass die Armee plane, auf dem Gebiet Manöver abzuhalten und der Stamm das Gebiet für ein halbes Jahr verlassen müsse bis die Manöver vorbei seien. Als sie zu ihrem Land zurückkamen wurde ihnen gesagt, sie müssten Pacht bezahlen. Natürlich lehnten sie es ab, Pacht für ihr eigenes Land zu bezahlen.
Im Jahre 1953 verabschiedete die Knesset (Parlament) das Landkaufgesetz, welches unter anderem vorsah, dass Land, welches für eine gewisse Zeit, die vom Gesetzgeber bestimmt wird, nicht genutzt wurde zu „Staatsland“ wird. Die Leute wurden daher vertrieben und ihr Land vom Staat übernommen. Das war praktisch Landraub per Gesetzgebung. Darüberhinaus erkennt der Staat auch keine traditionellen Besitzansprüche an. Wer sein Land nicht offiziell registriert hatte, wird von der israelischen Regierung nicht als Besitzer anerkannt. Scheich Sayah hat jedoch Dokumente, die den Kauf des Landes bestätigen. Man muss wissen, dass das Land auf dem die zionistischen Siedler-Kolonien in der Negevwüste vor 1948 errichtet wurden, von Beduinen auf traditionelle Weise erworben worden war.
Jetzt, wenn Scheich Sayah und sein Volk sich weigern, den Raub ihres Landes durch Gesetze und juristische Tricksereien anzuerkennen, werden sie kriminalisiert! Tausende von Beduinen, die im Negev leben, besituzen ihr Land auf traditionelle Weise. Das wird von Israel nicht anerkannt und wenn sie versuchen, an diesem Land festzuhalten, werden sie durch den Staat Israel kriminalisiert. Die Eindringlinge haben das Land zu „Staatsland“ deklariert und behaupten nun, dass die Beduinen die Eindringlinge seien.
Aber das ist nicht alles. Israelische Regierungen haben bisher Beduinendörfer, die schon vor der Gründung des Staates Israel im Negev existierten, nicht offiziell anerkannt. Das ist sogar für Dörfer der Fall, die enstanden, weil Israel Beduinenstämme von ihrem Land vertrieben und sie in den Sayag Distrikt umsiedelten. Es ist kaum zu glauben – ein Staat beraubt Menschen ihres Landes und nennt sie dann Eindringlinge, wenn sie das ihnen zugewiesene Land betreten wollen! Wenn ein Dorf nicht offiziell anerkannt ist, ist jede Art von Bautätigkeit illegal. Der Staat entscheidet dann durch Planungs- und Bebauungsbestimmungen, dass der größte Teil des Sayag Gebietes nur für Landwirtschaft und nicht zum Bebauen genutzt werden darf. So entstand ein legaler Zustand, der alle Beduinen zu Kriminellen macht, wenn sie ihr Menschenrecht auf Wohnen wahrnehmen wollen.
Eine solche Implementierung israelischer Gesetzgebung, die die Opfer der Besatzung zu Kriminellen macht, kann man in den besetzten palästinensischen Gebieten häufig beobachten. In den frühen 1970er Jahren hat die israelische Armee örtliche Planungs- und Bebauungsausschüsse aufgelöst und ihre Rechte und Aufgaben übernommen. Jetzt macht der Staat keine Gesamt-Pläne mehr und verbietet eine Bebauung, so dass nahezu alles palästinensische Bauen „illegal“ ist. Die Armee hat Gebiete, in denen wenige Palästinenser leben, zu „Feuerzonen“ erklärt, so dass diejenigen, die dort wohnen, die „Gesetze“ der Armee verletzen. Ähnlich werden Naturreservate und archäologische Fundstellen als Vorwand genutzt, um Palästinensern die Möglichkeit ihr Land zu nutzen zu versagen.
Das ist nichts anderes als eine ungewünschte Bevölkerung aus dem Land oder in äußerst begrenzte Gebiete zu drängen. Es ist ein Krieg, den Israels Sicherheitskräfte gegen eine wehrlose zivile Bevölkerung führen. Um die Israelis und den Rest der Welt davon zu überzeugen, dass seine Taten gerechtfertigt sind, hat der Staat ein umfassendes juristisches System geschaffen, das diesen Krieg als Durchsetzung von Gesetzen gegenüber deren Verletzern darstellt. Ich nenne das „Kriminalisierung der Opfer“. Wie könnten wir auch sonst uns selbst und unsere Unterstützer davon überzeugen, dass wir die Guten und sie (die Palästinenser) die Bösen sind, wenn wir sie nicht mit einem juristischen System überziehen würden , das unsere Opfer kriminalisiert?!

englischer Originaltext:
Criminalizing the Victim
By Amos Gvirtz
According to the ruling by Beer Sheva Magistrate Court Judge Yoav Atar, Sheikh Sayah Abu Medigham Al Touri is a criminal who deserves a ten-month prison sentence because he invaded lands that he claims are his. This sentence was given before the court even reached a ruling about the ownership issue of the said land. The judge ruled that Sheikh Sayah be sent to prison for ten months and pay a 36,000 shekel fine, in addition to a suspended sentence of five months in prison effective if and when he enter the area of Al Araqib again.
These are lands that Sheikh Sayah’s great-grandfather purchased in 1905 from someone in the Al Uqbi tribe around the area of Al Araqib. In 1952 the Israeli military governor told the tribe’s Sheikh at the time that the Israeli army intended to hold maneuvers in the area and that the Bedouins of this tribe must evacuate the area for half a year, until the maneuvers are over. When they asked to return to their land, they were told they must pay lease fees. Naturally they wouldn’t hear of paying for leasing their own land.
In 1953 the Israeli Knesset (parliament) passed the land purchase law which stipulated, among other things, that lands not used for a certain period of time determined by the law itself were to become “state lands”. People were thus evicted and their lands taken over by the state. This was simply land-grab through legislation. In addition, the state no longer recognizes traditional ownership of land. Whoever did not register his ownership officially is not recognized by the Israeli government as his land’s owner. Sheikh Sayah does have documents recording the purchase of his land. Note that the lands on which the Zionist settler-colonies were established in the Negev desert (before 1948) were purchased from Bedouins in the old traditional manner.
Now, as Sheikh Sayah and his people refuse to accept the robbery of their own lands through laws and legal trickery, they are criminalized! Thousands of Bedouins living in the Negev own their lands in the traditional way which is unrecognized, and when they attempt to cling to these lands they are criminalized by the State of Israel. The invader has declared their lands as “state land” and now claims that the Bedouins invade them.
But this is not all. Israeli governments have not officially recognized Bedouin villages that existed in the Negev since long before the founding of the State of Israel. This is true even of villages formed as a result of the state’s uprooting Bedouin tribes from their lands and transferring them to the Sayag district. Beyond belief – a state dispossesses people of their lands, and then in the very sites to which it transferred them, it declares them invaders! If a village is not recognized officially, any construction there is illegal. The state proceeded to establish through planning and building regulations that most of the Sasyag areas are for farming and not to be built up. Thus a legal situation arose whereby all Bedouins in their villages become criminals by realizing the basic human right to shelter.
Such implementation of Israeli legislations that turns the Occupation’s victims into criminals is often seen in the Palestinian Occupied Territories. In the early 1970s the Israeli army disbanded local planning and building committees and took over their authorities. Now the state refrains from creating master-plans and does not permit building, so that nearly all Palestinian construction is “illegal”. The army has declared as “firing zones” areas thinly inhabited by Palestinians, so that now those who do live there are in a position of violating the army’s “laws”. Similar use is made of nature reserves and archeological sites, denying Palestinians the possibility of using their own land.
This is no less than pushing unwanted populations out of the country or into extremely limited areas. It is a war the Israel’s security forces wages against a defenseless civilian population. In order to convince Israelis and the rest of the world that its deeds are justified, the state has created an entire legislative system presenting this war as the implementation of laws upon their violators. I call this “criminalizing the victim”.
How would we convince ourselves and our supporters that we are the “good guys” and they (Palestinians) are the “bad guys” without pulling a legal system on them that criminalizes our victims?!