Posted on Juli 7, 2013, von & gespeichert unter Jeffs Kommentar.


Kerry’s Pax Israeliana  hat versagt. Was nun?

Von Jeff Halper. Juli 2013

 

Wie reagieren wir auf Kerry? Ich kenne weit und breit niemanden, der sich mit dem Nahostkonflikt auskennt, und der nicht in der Kerry-Initiative etwas anderes sieht, als den Versuch, den Palästinensern eine Pax Israeliana aufzuzwingen. In der Tat, weder Kerry noch seine israelischen Partner machen sich die Mühe, dies zu leugnen.

Kerry’s Hauptbeitrag zu diesem Wiederbelebungsversuch des lange dahinsiechenden Friedensprozesses ist ein vages, 4 Milliarden Dollar schweres Paket von ‚Anreizen‘ – ein Teil dessen, was Amira Hass Schweigegeld nennt- das wiederum eine auffällige Ähnlichkeit mit dem ‚wirtschaftlichen Frieden‘ hat, den Netanyahu und Peres seit Jahren anzubieten versuchen.

Ansonsten drängt Kerry die Palästinenser lediglich dazu, die israelischen Vorbedingungen für Verhandlungen und Israels Version der 2-Staaten-Lösung zu akzeptieren: Kein Ende des Siedlungsbaus, der Landenteignung, der Hauszerstörungen ( 28000 palästinensische Häuser sind seit 1967 zerstört worden – und das geht weiter) oder Vertreibungen, die Anerkennung Israels als jüdischer Staat, die Anwendung von Clinton’s Rahmenbedingung (‘Was jüdisch ist, ist israelisch, was arabisch ist, ist palästinensisch’. Dies würde die vollständige Eliminierung  eines zusammenhängenden städtischen Gebietes bedeuten, aus dem später einmal eine palästinensische Hauptstadt werden könnte.) Es bedeutet auch, dass Israel mindestens 6 größere ‚Siedlungskomplexe‘ behält, die strategisch so gelegt wurden, dass sie die West Bank in voneinander isolierte,  verarmte Kantone zerteilen und dass das, was von Ost-Jerusalem übrig ist, vom Rest der West Bank isoliert wird. Es bedeutet auch die Langzeit- oder permanente Kontrolle über das Jordantal und über Palästinas Grenzen mit Ägypten und Jordanien durch das israelische Militär.

Die Liste geht weiter: Israelische Kontrolle des palästinensischen Luftraumes, des elektro-magnetischen Raumes (Kommunikation) etc. etc.

Die Mehrheit israelischer Juden befürwortet eine 2-Staaten-Lösung und hat eine negative  Einstellung zum Siedlungsbau. Dennoch hat eine Lösung, die ansatzweise der palästinensischen Forderung nach einem funktionsfähigen, wirklich souveränen, territorial zusammenhangenden Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt  nahekommt, keinerlei Chance, die Knesset zu passieren, selbst wenn dies durch ein Referendum befürwortet würde. Und der Wille der USA – besonders des Kongresses – Israel zu zwingen, eine solche Lösung zu akzeptieren, ist schlicht nicht vorhanden, wie Kerry’s lustlose Diplomatie beweist.

Warum dann überhaupt eine solche Aktion? Es gibt keinen wirklich zwingenden Grund. Die USA haben, ebenso wie Israel, jegliche Verbindung zwischen dem israelisch-palästinensischen Konflikt und der Dynamik des Nahen Ostens insgesamt immer heruntergespielt; vielmehr portraitieren sie Israel als wertvollen Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus, das ist die Brille, durch die die amerikanische Regierung die Region betrachtet.

Es würde sicherlich nicht schaden, wenn Israels grenzenlose Unterdrückung der Palästinenser aufhörte. Das erklärt Kerry’s Vorstoß ( oder, besser: sanftes Drängen) , die Verhandlungen zu beginnen, bevor die Vereinten Nationen  im September zu tagen beginnen und die Palästinenser weitere symbolische Siege erringen. Es könnte auch das international schlechte Ansehen der USA wegen ihrer vorbehaltlosen Unterstützung Israels sogar verbessern.. Aber Kerrys Bereitschaft sich aus dem Prozess zurückzuziehen, wenn die ‚Seiten‘ nicht kooperieren (als sprächen wir von zwei gleich mächtigen und gleich verantwortlichen Spielern), zeigt, dass seine Regierung mit der Besatzung auf unbegrenzte Zeit leben kann.

Israels Ambivalenz, die an Desinteresse grenzt, zeugt auch von keinem  echten Gefühl der Dringlichkeit. Es stimmt, Netanyahu ist besorgt, dass am Ende ein Bi-nationaler Staat zwischen Mittelmeer und Jordan entstehen könnte, aber er glaubt auch, dass eine Kombination aus Schweigegeld für die palästinensischen Eliten, fortdauernde humanitäre Hilfe durch die internationale Gemeinschaft und direkte Pazifizierung (einschließlich einer Selbst-Pazifizierung durch die palästinensische Autonomiebehörde) ausreichen, um das Palästinenserproblem von seiner Prioritätenliste zu entfernen. 

Interessanterweise haben sowohl Netanyahu als auch Tzipi Livni, die für die Verhandlungen verantwortliche Ministerin, zugegeben, dass die BDS Bewegung (Boykott, Desinvestitionen  und Sanktionen) eine Bedrohung Israels darstellt – und zwar mehr, als nur eine ökonomische Bedrohung. Aufrufe zu einem ökonomischen Boykott mögen mit den Siedlungen begonnen haben, sagt Livni, ‚aber das Problem der EU mit Israel besteht darin, dass die EU Israel als einen Kolonialstaat sieht. Das wird beim Siedlungsbau nicht haltmachen, sondern es wird sich auf Israel als Ganzes erstrecken.‘ Aber auch diese Bedrohung verschwindet angesichts des Eifers, mit dem EU Mitgliedsstaaten israelische Waffen und High-Tech Produkte kaufen.

Auch wollen die Israelis nicht wegen des Palästinenserproblems mit den USA aneinandergeraten. Also, warum nicht noch einmal versuchen, ‘Frieden’ mit den Palästinensern zu erreichen, zumal der von den Amerikanern moderierte Prozess nicht grundsätzlich Israels größere Siedlungsblocks, seine Souveränität über Ost-Jerusalem, oder seine Gesamtkontrolle über die West Bank in Frage stellt? Die Palästinenser, so rechnet Netanyahu, sind in einer ausweglosen Situation: vor Ort sind sie erschöpft, politisch und physisch zersplittert und können keinen wesentlichen Widerstand leisten. Politisch verliert ihre Sache ständig an Boden, dadurch dass sie aufhört, ein internationaler Brennpunkt zu sein und so aus dem Blick gerät – trotz  regelmäßiger Initiativen wie die Kerrys oder symbolischer Abstimmungen bei den Vereinten Nationen.

Wenn also Kerrys Mission Erfolg hat, so kalkuliert Israels Führung, dann können wir entweder in Verhandlungen eintreten, die zu einer de-facto Apartheid per Konsens führen ( das wäre das bevorzugte Ergebnis) oder sie endlos hinauszögern. Es ist wirklich egal, weil in beiden Szenarien Israel die Oberhand behält und unsere Siedlungen erhalten bleiben. Und wenn Kerrys Bemühungen nicht zum Erfolg führen, nun, dann können wir mit Leichtigkeit die Palästinenser dafür verantwortlich machen und friedlich zum Status quo ante zurückkehren.

Das ist nicht nur zynische Staatskunst, noch ist es ein nur auf Israel-Palästina zutreffender Einzelfall. Es ist der Kern internationaler Politik, eine Grundtatsache, der wir, die wir eine wirklich bessere Welt wollen, begreifen müssen, wenn wir effektive Strategien entwickeln wollen, um damit fertig zu werden. Die Realität ist, dass Regierungen Konflikte nicht lösen, ( zumindest nicht auf der Basis von Menschenrechten, internationalem Recht und der Sorge um Gerechtigkeit) sie managen sie nur.

Ich sah das deutlich während eines kürzlichen Treffens mit Offiziellen des Nah-Ost Ressorts einer wichtigeren europäischen Regierung. Diese Regierung gehört zu denen, die Israel sehr kritisch gegenüber stehen. Sie ist ein treuer Anhänger der Menschenrechte, und in der Tat, ein Unterstützer von BDS. Diese Regierung hat sogar die Staatspensionen aus dem Elbit-System, einer profitablen israelischen Militärfirma, desinvestiert.

Ja, sagten sie mir, wir arbeiten unablässig daran, die Besatzung zu beenden und eine 2-Staaten-Lösung herbeizuführen, die einzige Lösung, die uns akzeptabel erscheint.

Aber was, fragte ich, wenn ihr selbst die Überzeugung gewinnt, dass die 2-Staaten-Lösung nicht mehr möglich ist? Würdet Ihr dann einen anderen Weg, zum Beispiel einen einzigen, demokratischen Staat, oder einen bi-nationalen Staat in Erwägung ziehen?

Nein, niemals, sagten sie. Sieh mal, erklärten sie mir, es stimmt, wir sind gegen Israels Besatzung, aber Israel ist ein befreundetes Land. Wir kooperieren auf NATO-Ebene miteinander und wir ermutigen unsere Geschäftsleute, mit Israel Handel zu treiben. Wir würden niemals etwas tun, das Israel schädigen würde. Deshalb können wir nicht über eine 2-Staaten-Lösung hinaus gehen.

Aber wenn ihr davon überzeugt wäret, dass diese Lösung nicht mehr möglich ist, insistierte ich, was würde dann passieren? In dem Falle, antworteten sie, würden wir nur unsere humanitäre Hilfe für die Palästinenser erhöhen. Wir könnten niemals eine Lösung jenseits der 2-Staaten-Lösung akzeptieren, die die Unversehrtheit und die Sicherheit Israels gefährden würde. Mit anderen Worten: dieser entschlossene Verfechter der Menschenrechte in der internationalen Gemeinschaft konnte sehr gut mit Ungerechtigkeit und Apartheid leben, wenn sich keine Lösung des Israel-Palästina-Konfliktes ergeben sollte. Diese strukturelle Unterstützung  Israels geschieht allerdings unter einem Vorbehalt: Israel muss den Deckel darauf halten. Management bedeutet im wesentlichen, Situationen zu ignorieren, die das internationale System oder die Kerninteressen seiner Hauptblöcke nicht stören. Management konzentriert sich statt dessen darauf, sofort störende Unruhherde zu beseitigen. Selbst Kriege stellen mehr Konfliktmanagement dar – Sicherung der Ressourcen und der Handelsrouten, während man störende Elemente in Schach hält – als eine manchmal notwendige Maßnahme, um ein Problem wirklich zu lösen.

Die Botschaft der Regierung, die ich besuchte, und die anderer an Israel lautet folgendermaßen: Wir werden Euch weiterhin faktisch unterstützen unter der Bedingung, dass eure Unterdrückung der Palästinenser ‚unterhalb des akzeptierten Radars‘ bleibt, dass die Besatzung weder ein Brennpunkt wird ( wie es während der Intifadas  und der Angriffe auf Gaza der Fall war), noch unsere Aufmerksamkeit erfordert oder unsere offizielle Unterstützung der Menschenrechte kompromittiert. 

Das hat Israel im Großen und Ganzen geschafft. Die Tatsache allerdings, dass der Konflikt weiter gärt, besonders weil Leute überall in der Welt sich weigern, ihn verschwinden zu lassen, ist Grund genug, Kerry in die Region zu bringen. Es ist allerdings nicht Grund genug, wesentlichen Druck auf Israel auszuüben, die Besatzung zu beenden. Wenn die Dinge so stehen, was können wir Aktivisten dann tun? Erstens müssen wir realisieren, dass wir uns in einer schlechten Ehe befinden. Regierungen behaupten, sie hätten das exklusive Recht, unsere internationalen Angelegenheiten zu regeln; nur sie können Armeen aufstellen, verhandeln, Verträge unterschreiben.

Deshalb erwarten wir von ihnen, dass sie die Führung übernehmen und die Probleme der Welt lösen. Aber das tun sie nicht, sie gehen über das Managen von Konflikten nach Maßgabe ihrer eigenen kollektiven Interessen nicht hinaus. Nur, wenn öffentlicher Druck von unten sie zum Handeln zwingt – in der Tat nur dann, wenn öffentlicher Widerstand den Status quo zum Einsturz bringt, was sie dazu zwingt, sich wirklich um die grundlegenden Probleme zu kümmern – nur dann werden Regierungen das Richtige tun. Die Erkenntnis, dass wir Regierungen benötigen, und wenn nur dazu, Lösungen, die wir selbst für richtig halten, in Verträge zu gießen, gibt unseren Strategien der Veränderung die Richtung. Wir, die Menschen, müssen diejenigen sein, die die Umrisse gerechter Lösungen für Konflikte formulieren; Regierungen werden das nicht tun, sie werden nur nach dem Weg des geringsten Widerstandes suchen. Wir müssen dann effektive Strategien dafür entwickeln, ihnen unsere  Lösungen, oder zumindest die Prinzipien, nach denen gerechte Lösungen funktionieren, aufzuzwingen. Letztlich müssen wir genau beobachten, wie sie Verhandlungen führen und darauf bestehen, dass sie für Transparenz sorgen und sie die Probleme wirklich auf gerechte Weise angehen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie anständig bleiben.

In Bezug auf  einen gerechten Frieden zwischen Palästinensern und Israelis haben wir als Zivilgesellschaft noch einen weiten Weg zurückzulegen. Ein gerechter Friede wäre etwas, das die Barrieren zwischen uns niederreißen würde und messbar zu der Fähigkeit der Menschen beitragen würde, sich um die Notwendigkeit einer Veränderung in unserer Region zu kümmern. Was fehlt, ist die fortwährende Einbindung der Zivilgesellschaft bei der Formulierung und der effektiven Verfolgung einer akzeptablen Lösung, und bei der gleichzeitigen Beobachtung der politischen Entwicklung.

Durch BDS und andere Kampagnen haben wir in der Tat beträchtlichen Druck auf Regierungen ausgeübt, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen. Wir haben aber noch keine Alternative zur 2-Staaten-Lösung, die Israel und die USA praktisch eliminiert haben, formuliert. Dies ist der wichtigste Punkt auf unserer Agenda.

Ohne ein Endziel, formuliert von Palästinensern , zusammen mit ihren israelischen Partnern können wir uns weder erfolgreich in den politischen Prozess einbringen, noch können wir politische Entwicklungen, wie etwa die Kerry –Initiative sinnvoll beobachten.

Wir müssen dann zumindest die Prinzipien definieren, anhand derer wir messen wollen, ob politische Initiativen wie die Kerrys gerecht und aufrichtig sind. Ich stelle die Folgenden zur Diskussion. Ich habe diese 5 Prinzipien schon an anderer Stelle präsentiert, aber es könnte nützlich sein sie in diesem Zusammenhang erneut zu betrachten, und wenn auch nur, um notwendige Diskussion anzustoßen.

Ein gerechter Friede muss mit den Menschenrechten, internationalem Gesetz und UN-Resolutionen in Einklang stehen.

Ungeachtet der Frage, ob es Israel hätte geben sollen oder nicht, wohnen nun zwei Völker in Palästina-Israel, und ein gerechter Friede muss auf dieser bi-nationalen Realität gegründet sein.

Ein gerechter Friede erfordert es, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge zu akzeptieren.

Ein gerechter Friede muss wirtschaftlich praktikabel sein, und muss allen Bewohnern des Landes gleichen Zugang zu den Ressourcen des Landes und seinen wirtschaftlichen Institutionen ermöglichen.

Ein gerechter Friede muss regional in seinem Wirkungsbereich sein. Israel-Palästina ist eine zu kleine Einheit, als dass es alle mit dem Konflikt verknüpften Probleme lösen könnte. Und ein gerechter Friede muss den Sicherheitsbedürfnissen aller am Konflikt Beteiligten Rechnung tragen.

Wenn es stimmt, dass Regierungen Konflikte nur managen und ihre eigenen Interessen über Menschenrechte und internationales Gesetz stellen, dann ist es unsere Aufgabe, jeden Prozess, den sie initiieren, genau zu beobachten, um sicher zu stellen, das er aufrichtig bleibt. Deshalb ist es entscheidend, dass wir Prinzipien entwickeln, anhand derer wir beurteilen können, ob sie wirklich die Probleme angehen, oder lediglich versuchen, eine ungerechte, aber machbare ‚Lösung‘ zu erzwingen. Es ist nicht nur für Israel-Palästina entscheidend, sondern es gilt für jeden der zahllosen Konflikte in der Welt.

Jeff Halper ist Direktor des Israelischen Kommitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD). Er ist zu errreichen über jeff@icahd.org.  Diese Artikel wurde zuerst auf www.mondoweiss.net veröffentlicht. (Übersetzung: C. u. D.)