Jeff Halper, 30.10.2014
Israel stellt sich gerne als liberale westliche Demokratie dar, genaugenommen als einzige Demokratie im Nahen Osten. Was eine Demokratie kennzeichnet ist die Rechtsstaatlichkeit und diese ist Millionen von Palästinensern routinemäßig verwehrt, die seit 47 Jahren unter israelischer Kontrolle leben. Israels Politik der Hauszerstörungen – ungefähr 48 000 Häuser sind seit Beginn der Besatzung 1967 zerstört worden – ist eine zynische Beugung des Rechts für politische Zwecke. Israels „zivile Verwaltung“, wie die Militärregierung in den besetzten Gebieten arglistig genannt wird, um ihr den Schein einer normalen, richtigen, unpolitischen Verwaltung zu geben, gibt routinemäßig Hauszerstörungsbefehle heraus, die eine Verletzung der Vierten Genfer Konvention darstellen. Palästinenser können dagegen zwar Berufung vor einem israelischen Gericht einlegen, aber ihnen gelingt es nie, damit Erfolg zu haben.
Wenn es zu Hauszerstörungen als Strafe kommt, gibt Israel jeden Schein von Rechtsstaatlichkeit auf und wir sehen die Besatzung wie sie wirklich ist: reine Unterdrückung ohne eine Politik, die den Konflikt beenden will. Die Zerstörung von Häusern von vermeintlichen Gesetzesbrechern und ihrer unschuldigen Familienangehörigen ist primitive Rache.
Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B’tselem wurden zwishen 2001-2005 664 palästinensische Häuser in den besetzten Gebieten als Strafmaßnahme zerstört. 4,182 unschuldige Menschen wurden dadurch vertrieben, viele von ihnen Nachbarn der Familien der Verdächtigten, und das oftmals allein auf Grund von Verdacht. So war es im August als in Hebron drei Apartmentblöcke zerstört wurden, die den Familien oder Nachbarn derer gehörten, die verdächtigt wurden, die drei Siedler-Jugendlichen getötet zu haben. So ist es auch jetzt, als die Regierung schwor, innerhalb von 24 Stunden das Haus von Muatnaz Hijazi zu zerstören, der verdächtigt wird, am 29.10. den Siedlerführer Yehuda Glick angeschossen (nicht erschossen) zu haben.
Das Argument für Hauszerstörungen als Strafmaßnahme ist einfach und klar: Für Palästinenser (wie für jeden Menschen) ist das Haus heilig, und da sie in Großfamilien leben, ist der Verlust des Hauses ein wirkungsvolles Abschreckungsmittel für alle, die Angriffe gegen Israel ausführen würden, wenn sie wüssten, dass dann das Haus ihrer Familie zerstört werden würde. Die Politik der Hauszerstörung als Strafe geht auf die Britischen Notstandsverordnungen von 1945 zurück, die kein anderer als Menachim Begin als „Nazi-Verordnungen“ bezeichnete. Er setzte sich unermüdlich, obwohl letztlich erfolglos, in der Knesset für deren Abschaffung ein. Als in den 1950er Jahren Moshe Sharett argumentierte „alle Gesetze sind Gesetze“ antwortete Begin:
Stimmt nicht! Es gibt tyrannische Gesetze, unmoralische Gesetze, Nazigesetze… Das Gesetz, welches Sie angewandt haben (die Britischen Notstandsverordnungen), ist tyrannisch, unmoralisch und ein Nazigesetz. Ein unmoralisches Gesetz ist ein illegales Gesetz… Die Existenz solcher Verordnungen lässt Fragen aufkommen, die die fundamentalen Rechte jedes israelischen Bürgers betreffen.
Trotzdem wurden die Verordnungen in den israelischen Rechtskodex aufgenommen.Trotz Knesset-Entscheidungen, sie aufzuheben, wurde das verhindert, weil man ihre Nützlichkeit erkannte und zwar sowohl für die Militärregierung, die den arabischen Teil der israelischen Gesellschaft von 1948 – 1966 kontrollierte, als auch für die besetzten Gebiete ab 1967. Wie B’tselem anmerkt, „ die Verordnungen dienten als Rechtsgrundlage zur Zerstörung und Versieglung von Hunderten von Häusern, zur Deportation von Einwohnern, und zur Inhaftierung Tausender ohne Verfahren, und zur Verhängung von Schließungen und Ausgangssperren in Städten und Dörfern.“ Tatsächlich wurden mit dieser Politik Hunderte von Häusern in den besetzten Gebieten zerstört, viele davon während Begin Premierminister war.
Ironischerweise hat sogar die IDF selbst erkannt, dass die Politik der Hauszerstörungen als Strafe nicht nur nicht abschreckend wirkt, sondern eine leicht entflammbare Umgebung noch weiter aufheizt. Um die Ironie noch weiter zuzuspitzen: das Militärkomitee, das das herausfand, wurde vom jetzigen Verteidigungsminister Moshe Ya’alon einberufen, der damals Oberbefehlshaber war und jetzt für die Wiedereinführung dieser verfehlten Politik sorgen muss. Es war Ya’alon, der die Hauszerstörungen als Strafe 2005 beendete. Die Rückkehr zu Hauszerstörungen als Strafe, die offiziell weder auf die Politik noch auf die Sicherheit eine positive Auswirkung hat, ist deshalb die Anwendung roher, primitiver Gewalt, blinde Rache gegen Verdächtige, die noch nicht verurteilt sind (Hijazi wurde Stunden später in der Nähe seines Hauses erschossen, angeblich weil er sich der Festnahme entziehen wollte), und gegen unschuldige Familienmitglieder und Nachbarn. Das ist Teil einer breiten Politik der Repression, ohne Zusammenhang mit einem politischen Prozess zur Lösung des Konflikts.
Hauszerstörungen als Strafe verletzten nicht nur das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, weil das zu zerstörende Haus nur einem Verdächtigen gehört, die Bestrafung von Familienmitgliedern eines Verdächtigen, die kein Verbrechen begangen haben und deren Haus man zerstört, sind eine Kollektivstrafe, die Artikel 33 der Genfer Konvention in Bezug auf den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten verletzt (Vierte Genfer Konvention). Der Artikel besagt: „Keine Person darf für ein Vergehen bestraft werden, das sie nicht selbst begangen hat“ und er definiert Kollektivstrafen als Kriegsverbrechen.
Man muss nicht erwähnen, dass Hauszerstörungen als Strafe nur angewendet werden, wenn der Angreifer ein Palästinenser und das Opfer ein Jude ist; weder Siedler- noch IDF-Gewalt gegenüber Palästinensern wird bestraft, und schon gar nicht mit der Zerstörung von jüdisch-israelischen Häusern.
Bei Klagen gegen Hauszerstörungen hat der Israelische Oberste Gerichtshof immer diese Politik unterstützt. Er hat formell die Zuständigkeit abgegeben, Entscheidungen zu fällen, die die Sicherheit und die IDF betreffen. Im Abu Daheem Fall von 2002 erklärte das Gericht: „Unsere Position ist, nicht in die veränderte Politik der Beklagten (IDF) einzugreifen.“ Diese Aufgabe judikativer Gewalt wirft kein gutes Licht auf das israelische Rechtssystem, denn es verweigert der palästinensischen Bevölkerung von Ost-Jerusalem, der Westbank und Gaza – alles geschützte Personen nach der Vierten Genfer Konvention – einen wirksamen Schutz durch internationale oder israelische Rechtssysteme.
Das berührt natürlich ein weiteres fundamentales Thema in Hinsicht auf Rechtsstaatlichkeit in den besetzten Gebieten (wozu auch Ost-Jerusalem gehört ungeachtet Israels einseitiger und illegaler Annexion): Israels Weigerung, die Vierte Genfer Konvention anzuerkennen. Die Durchsetzung der israelischen Planungsvorschriften, Gesetze und Militärischen Anordnungen wie Hauszerstörungen in den besetzten Gebieten stellen einen eklatanten Verstoß gegen internationales Recht dar.
Das israelische Rechtssystem ist selbst zu einem Instrument der Unterdrückung geworden, weil es das Recht von der Gerechtigkeit abgekoppelt hat und weil es das internationale Recht verletzt ohne dafür bestraft zu werden. Ein israelischer Experte in internationalem Recht, der es vorzog, anonym zu bleiben, beschrieb die zynische Manipulation des Rechts im Jerusalem Post Up Front Magazine (April 15, 2005, p. 34) ganz offen wie folgt:
Das internationale Recht ist die Sprache der Welt und ist mehr oder weniger die Elle, an der wir uns heute messen. Es ist die Lingua Franca der internationalen Organisationen. Also muss man die Spielregeln einhalten, wenn man Teil der Weltgemeinschaft sein will. Und die Spielregeln gehen folgendermaßen: Solange man behauptet, man würde im Rahmen des internationalen Rechts agieren, und solange man einen vernünftigen Grund vorweisen kann, dass das, was man gerade macht, sich innerhalb des Rahmens des internationalen Rechts bewegt, ist alles in Ordnung. So geht das. Das ist eine ziemlich zynische Sicht darüber, wie die Welt funktioniert. Wenn man also etwas erfindungsreich ist oder sogar ein bisschen radikal, solange man es im Kontext des internationalen Rechts erklären kann, werden die meisten Staaten einen nicht als Kriegsverbrecher bezeichnen.
Dieser Umgang mit dem Recht, wie er sich in den jüngsten Entscheidungen des Obersten Gerichts hinsichtlich der Wiederaufnahme der Politik der Hauszerstörungen als Strafe widerspiegelt, stellt das internationale Recht und die Verfechter der Menschenrechte gegen das israelische Rechtssystem. Israel kann nicht behaupten, eine Demokratie zu sein, solange ein duales Rechtssystem existiert, bei dem Israelis und Palästinenser unterschiedlichen Rechtssystemen unterliegen, wobei letztere keinerlei rechtlichen Schutz haben. Egal, welches Verbrechen Muatnaz Hijazi begangen hat, sein Haus hätte nicht zerstört werden dürfen. Der „Friedensprozess“ mag zusammengebrochen sein, aber wir können es nicht zulassen, dass er durch eine Politik primitiver Rache ersetzt wird.
Jeff Halper ist der Vorsitzende des Israeli Committee Against House Demolitions. Man kann ihn kontaktieren unter: jeff@icahd.org.