Israels Botschaft an die Palästinenser: Unterwerft Euch, haut ab oder sterbt!
Jeff Halper 11.7.2014
Foto. Palästinenser suchen in den Trümmern eines zerstörten Hauses im Flüchtlingslager Khan Jounis (Gaza Streifen), in dem 8 Mitglieder der Familie Al Haj bei einem israelischen Luftangriff getötet wurden. (Photo: AP/Khalil Hamra)
Die Kerry Initiative hat zwar, statt mit einem großen Knall, mit einem ‘Wimmern’ aufgehört, aber ihre Wirkung auf den israelisch-palästinensischen Konflikt war dennoch bedeutsam und grundlegend. Das Ende des politischen Prozesses, nutzlos wie er auch gewesen sein mag, hat den Kollaps des Status Quo, wie wir ihn in den letzten 47 Jahren kannten, ausgelöst. Es hat eine Serie von Ereignissen in Bewegung gesetzt, die uns, was Israel und Palästina angeht, mit zwei klaren Alternativen konfrontieren: Entweder wird es eine permanente Lagerhaltung einer ganzen Bevölkerung geben, oder es wird ein einziger, demokratischer Staat entstehen. Sowohl die eklatant unverhältnismässige Reaktion auf das Kidnapping der drei israelischen Jungen, als auch die momentan andauernden Luftangriffe auf Gaza sind beides geplante israelische Militäroperationen: Die Operation ‘Bruders Hüter’ und die Operation ‘Fels in der Brandung’. Keine von beiden hatte irgend etwas mit den Auslösern – der Suche nach den Jungen oder den Raketen aus Gaza – zu tun.
Im Rahmen der Operation ‘Bruders Hüter’ drang die Armee in palästinensische Städte, die angeblich außerhalb des Territoriums liegen, ein, und durchwühlte mehr als 200 Wohnungen, und verhaftete ungefähr 700 Menschen. Wie groß die Zerstörungen in Gaza sind, lässt sich noch nicht abschätzen. Es gibt bislang 100 Tote als Folge von mehr als 1100 Luftangriffen. Nach Berichten handelt es sich dabei mehrheitlich um Zivilisten. Es gibt rund um die Uhr ohrenbetäubende Bombardierungen von Wohnvierteln durch von den Anmerikanern gelieferte F-15 Bomber sowie Artillerieangriffe vom Boden und von See aus. Daneben gibt es Drohungen, Gazas Infrastruktur komplett zu zerstören. Die Zukunftsaussicht: nahezu 2 Millionen Menschen werden dauerhaft eingesperrt, mit einem Lebensstandard nahe an der Hungersnot.
Es wird klar, dass die Militäroperationen ihren eigenen Zweck haben, dass sie in jedem Falle passieren sollten, unabhängig von aktuellen Ereignissen. Man wartete nur auf einen Vorwand. Die Operationen mussten kommen aufgrund des Vakuums, das Kerry zurückgelassen hatte. Ein ‘Abschluss’ war notwendig – und es war klar, dass die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die monatelang Zeit dazu hatte, initiativ zu werden und die Position der Palästinenser zu verstärken, dies nicht tun würde.
Der amerikanische Hauptunterhändler (und frühere AIPAC Führer ) Martin Indyk machte übrigens die Israelis für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich. (– AIPAC= Das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC, dt.: „Amerikanisch-israelischer Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten“ ist eine pro-israelische Lobby in den USA mit über 100.000 Mitgliedern.) Das Ende der Kerry-Initiative markierte den Höhepunkt einer jahrzehntealten Kampagne, die, systematisch und geplant, das Ziel hatte, die zwei-Staaten-Lösung zu eliminieren.
Von Anfang an, im Jahre 1967, haben israelische Regierungen offiziell geleugnet, dass es überhaupt eine Besatzung gebe. Sie behaupteten, dass, da die Palästinenser nie einen eigenen Staat hatten, sie auch keinen nationalen Anspruch auf das Land hätten. Die Labour Partei verneinte die generelle Anwendbarkeit der Vierten Genfer Konvention, die Zvilbevölkerungen unter Schutz stellt, die sich unter feindlicher Herrschaft befinden und die keine Möglichkeiten der Selbstverteidung haben. Diese Schutzvorschrift war explizit formuliert worden in der Absicht, jenen Schutz zu gewährleisten, der den Juden während des Holocausts vorenthalten wurde. Die israelische Regierung startete dann mit dem Projekt des Siedlungsbaus – nun gibt es ungefähr 200 – in klarer Verletzung des Völkerrechts, das es der Besatzungsmacht ausdrücklich untersagt, ihre Zivilbevölkerung in besetztes Gebiet umzusiedeln.
In der Tat trägt die Labour Regierung (die ‘zionistische Linke’) eine größere Verantwortung für die Eliminierung der Zwei-Staaten-Lösung als Begins Likud, Sharon oder Netanyahu. Es war die Labourregierung, die während aller sieben Jahre der Oslo-Verhandlungen an der Macht war. Labour zerstückelte die palästinensischen Territorien in kleine, verarmte Enklaven, Labour forcierte die ökonomische Isolierung und die Behinderungen der Freizügigkeit der Palästinenser während der letzten 21 Jahre und Labour, nicht der Likud, der in der Tat gegen das Projekt war, iniziierte den Bau der Trennungsmauer, der Apartheidsmauer. Der Likud war natürlich ein williger Partner, wie auch all die anderen säkularen und religiösen Parteien von der Mitte bis hin zur extremen Rechten, aber es war an Netanyahu, der Zwei-Staaten-Lösung ein für alle Mal den Todesstoß zu versetzen.
Der erste Schritt bestand darin, Kerrys Initiative endgültig zum Scheitern zu bringen – und alle, die ihr viellecht noch folgen sollten. Das erreichte Netanyahu, indem er seine Forderungen auf unerträgliche Höhen schraubte. Er erklärte, die Palästinenser müssten ihre eigene nationale Geschichte und ihre Bürgerrechte aufgeben, indem sie Israel als jüdischen Staat anerkennen. Ferner forderte er den permanenten Besitz von Ost-Jerusalem, dem Jordantal und den Haupt-Siedlungsblöcken (das entspricht ungefähr einem Drittel der West Bank). Außerdem forderte er israelischen Besitz der Wasser- und Gasressourcen, der elektromagnetischen Sphäre des Landes (Kommunikation) und des Luftraumes. Er ließ den Palästinensern weniger als ein Bantustan, eine nicht funktionsfähige Enklave ohne Souveränität, ein Gefängnis, bestehend aus 70 Inseln der Zonen A und B in der West Bank, Ghettos in Ost-Jerusalem, eng begrenzte Enklaven innerhalb Israels und den Käfig, der Gaza heißt. Die Hälfte der Bevölkerung des Landes zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan soll, begrenzt auf Dutzende von Inseln auf insgesamt 15% des historischen Palästina leben.
Die Operationen ‘Bruders Hüter’ und ‘Fels in der Brandung’ bedeuten die Einführung eines Regimes der Lagerhaltung, von faktischer Gefangennahme eines ganzen Volkes. Die scheinbar blinde und atavistische Zerstörung und der Hass, die sich in den letzten Wochen über die Palästinenser ergossen haben, ist nicht nur eine weitere ‘Runde der Gewalt’ in einem endlosen Kampf. Sie bedeuten vielmehr die Verkündung einer neuen politischen Realität. Die Botschaft ist klar, einseitig und endgültig:
Dieses Land ist judaisiert worden: es ist nun das Land Israel, das im Begriff ist, dem Staat Israel einverleibt zu werden. Ihr Araber (oder Palästinenser, wie Ihr Euch selbst nennt) seid kein Volk und habt keine nationalen Rechte, ganz sicher nicht auf unser ausschließlich jüdisches Land. Ihr stellt nicht die ‘Seite’ eines Konfliktes dar. Ein für alle Mal müssen wir Euch die Vorstellung austreiben, dass wir mit Euch verhandeln. Das haben wir nie getan und das werden wir auch nie tun. Ihr seid nichts weiter, als Insassen in einem Gefängnis und wir erklären hiermit, durch unsere militärischen und politischen Aktionen, dass Ihr drei Wahlmöglichkeiten vor Euch habt: ihr könnt Euch unterwerfen, so, wie es sich für Gefängnisinsassen gehört. In diesem Falle werden wir Euch erlauben, in Euren Gefängnisenklaven zu bleiben. Ihr könnt gehen, wie es Hunderttausende vor Euch bereits getan haben. Oder, wenn Ihr Euch dazu entschließt, Widerstand zu leisten, werdet Ihr sterben.
Lagerhaltung ist schlimmer als Apartheid. Lagerhaltung versucht nicht einmal, einen politischen Rahmen für die’separate Entwicklung’ zu finden. Lagerhaltung bedeutet die Gefangenschaft der Unterdrückten und sie beraubt sie ihrer Kollektiven und individuellen Rechte. Es handelt sich um die äußerste Form der Unterdrückung sieht man einmal vom tatsächlichen Genozid ab. Damit beraubt die israelische Regierung ein Volk seiner Identität, seines Landes, seiner Kultur und seiner Reproduktionsfähigkeit, es ist eine Form des kulturellen Genozids der zu noch schlimmerem führen kann.
Das ist es, was Israel von den Palästinensern übrig gelassen hat, und das ist die wahre Bedeutung des Bombardemants von Gaza, der Terrorisierung der West Bank – und der andauernden Zerstörung beduinischer und palästinensischer Häuser innerhalb Israels.
Wenn man davon ausgeht, dass Apartheid und Lagerhaltung absolut unakzeptable ‘Lösungen’ sind, und dass sie, in der Tat, letztlich nicht dauerhaft aufrechtzuerhalten sind, weil sie nur immer noch mehr Gewalt und Konflikte im unruhigen Nahen Osten hervorrufen, dann läßt uns Israel eigentlich nur einen brauchbaren, gerechten und dauerhaften Ausweg: es muss einen einzigen demokratischen Staat in Israel/Palästina geben, der die individuellen und kollektiven Rechte aller seiner Bürger garantiert. Das ist es, wofür wir kämpfen müssen.
Israels Militäroperationen bedeuten den Beginn des Zusammenbruchs der Besatzung. Es ist die vordringliche Aufgabe der palästinensichen Zivilgesellschaft, zusammen mit ihren Partnern innerhalb der kritischen israelischen Linken zu formulieren, wie dieser Staat aussehen könnte. Jedermann in diesem Land muss sich sicher sein, dass er eine Rolle in der Zukunft spielen wird und dass er deshalb darum kämpfen muss, dieses Ziel zu erreichen. Trotz des Leidens, das im Augenblick stattfindet, wird uns die öffentliche Meinung der Welt unterstützen. Nur unsere effektive Mobilisierung wird die Lagerhaltung besiegen.