Freitag, 3.1.2014
Human Rights Watch
Israel: Stoppt die drohende Vertreibung von Palästinensern
Der israelische Verteidigungsminister Moshe Ya’alon sollte umgehend die drohende Vertreibung von 3 Palästinenserfamilien mit insgesamt 23 Mitgliedern aus ihren Häusern in der Nähe einer West Bank Siedlung stoppen.
Keine israelische Behörde, einschließlich des Obersten Gerichtshofes, hat diese Vertreibung als vorübergehende Massnahme gerechtfertigt, die zum Schutze der Bewohner selbst oder aus wichtigen militärischen Gründen notwendig sei. Unter diesen Umständen bedeutet die Vertreibung der Familien nicht nur Diskriminierung, sondern auch eine schwere Verletzung von Israels Verpflichtungen als Besatzungsmacht. Es handelt sich somit um ein Kriegsverbrechen.
Israels Oberster Gerichtshof wies am 3.12.2013 eine Petition gegen die Vertreibungen zurück mit der Begründung, dass die Palästinenser nicht dauerhaft dort gewohnt hätten, als das Militär die Gegend im Jahre 1999 zur Militärzone erklärte. Das Gericht entschied, dass das Militär die Familien am oder nach dem 3. Januar 2014 vertreiben dürfe. Es erwähnte mit keinem Wort Israels Verpflichtungen nach den internationalen Menschenrechtsgesetzen oder dem Besatzungsrecht. Die Anwohner sagen, dass sie schon vor 1972 in der Gegend gelebt hätten. Sie hatten angeboten, ihre Häuser vorübergehend, während militärischer Manöver, verlassen zu wollen. Aber das Militär hat ihr Angebot abgelehnt.
‘Israels Militär leitet scheinbar 2014 eine neue Phase ein, indem es noch mehr palästinensische Familien aus ihren Häusern vertreibt,’ sagt Sarah Leah Witson, Direktorin für den nahen Osten und Nord-Afrika bei Human Rights Watch. ‘Verteidigungsminister Ya’alon sollte diese ungesetzliche Vertreibung sofort stoppen und die illegalen Zerstörungen palästinensischen Besitzes beenden.’
Im Jahre 2013 vertrieben israelische Behörden mehr als 1.100 Palästinenser aus der West Bank, einschließlich Ost-Jerusalems, indem sie ihre Häuser zerstörten. In praktisch allen Fällen war die vorgeschobene Rechtfertigung für diese Zerstörungen in der diskriminierenden Planungspraxis zu suchen, bei der Land den Siedlungen zugewiesen wird, es aber für Palästinenser praktisch unmöglich gemacht wird, Baugenehmigungen zu erhalten.
Die 23 Anwohner, darunter 15 Kinder, die nun vertrieben werden sollen, leben in der Nähe der Stadt Jiftlik im Jordantal, einem Gebiet unter israelischer Militärkontrolle. Nach Angaben von Menschrechtsorganisationen leben die drei Haushalte, die der großen Bani Maniya Familie angehören, von ihren Herden von ca. 900 Schafen. Die Anwohner und ihr Anwalt berichteten Human Rights Watch, dass das Militär nicht angeboten hat, die Familien nach der Vertreibung aus Qarzalia an einem anderen Ort anzusiedeln oder sie zu entschädigen.
Die Familien reichten eine Petition beim Israelischen Obersten Gerichtshof ein, um die Vertreibungspläne zu stoppen. Sie begründeten Ihre Petition, indem sie sagten, dass die Vertreibung eine Verletzung von Israels Verpflichtung, die Menschenrechte der Palästinenser zu respektieren, darstelle. Sie hätten ein Recht auf Arbeit und auf adäquaten Lebensstandart. Auch verletze die Vertreibung Israels Verpflichtungen gemäss der Haager Regeln und der Genfer Konvention. Diese besagen, dass die Besitzrechte einer Bevölkerung unter der Besatzung respektiert werden müssen und sie verbieten die Zerstörung von Privatbesitz. Die Häuser der Bewohner von Qarzaliya liegen in einer Gegend der West Bank, die ausschließlich vom israelischen Militär kontrolliert wird, der sog. C-Zone. In der C-Zone, die mehr als 60% der West Bank umfasst, bringen die israelischen Behörden zudem einen Flächennutzungsplan zur Anwendung, der gesetzeswidrig Palästinenser diskriminiert. De facto erteilt das israelische Militär Palästinensern nur eine Bauerlaubnis auf 1% der C-Zone. Im Gegensatz dazu haben die Militärbehörden 63% des Gebietes Siedlungen zugewiesen. Dies berichtet die israelische Menschenrechtsgruppe B’Tselem.
Der Gerichtshof wies am 3.12.2013 die Petition der Bewohner von Qarzalia zurück. Das Urteil erwähnte in keiner Weise Israels Verpflichtungen nach internationalem Menschenrecht oder Besatzungsrecht. Stattdessen akzeptierte es die Behauptung des Staatsanwaltes, dass die palästinensischen Familien keine ständigen Bewohner der Gegend im Jahre 1972 gewesen seien, als das Militär die Gegend zur geschlossenen militärischen Zone erklärt hatte, oder im Jahre 1999, als das Militär diese Erklärung wiederholte.
Nach israelischem Militärrecht dürfen nur solche Palästinenser, die von Israel als ‘ständige Bewohner’ akzeptiert worden sind, in ihren Häusern bleiben, nachdem das Militär die Gegend zur Militärzone erklärt hat. Bislang allerdings hatte das Militär die Bewohner von Qarzalia noch nicht vertrieben.
Diese Praxis, palästinensisches Land zu militärischem Übungsgebiet zu erklären und dann, mit dieser Begründung, die Menschen, die dort leben, gewaltsam zu vertreiben, ist nur eine der vielen ungesetzlichen politischen Methoden, die allein im vergangenen Jahr 1.100 Menschen obdachlos machte,’ sagt Whitson.
US Außenminister John Kerry kam am 2.1.2014 in Israel an und wird den israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu treffen. Seitdem Netanyahu sein Amt im März 2009 angetreten hat, haben israelische Streitkräfte mehr als 4.100 Palästinenser obdachlos gemacht, indem sie Häuser in der West Bank, einschließlich Ost-Jerusalems, zerstörten. Diese Zahlen stammen vom UN-Büro OCHA. Zerstörungen palästinensischer Häuser durch das Militär steigen in 2013 gegenüber 2012 um 25% an, berichtet OCHA. 80% der durch Hauszerstörungen vertriebenen Palästinenser in der C-Zone in 2013 lebten gemäß OCHA im Jordantal.
‘Außenminister Kerry sollte die israelischen Offiziellen dazu auffordern, damit aufzuhören, die Palästinenser aus dem Jordantal zu vertreiben, Haus um Haus, Familie um Familie, Dorf um Dorf,’ sagte Whitson.
Das Militär behauptet, es benötige das Gebiet für Manöver, und während des Gerichtsverfahrens vertrieb es die Familien mehrmals vorübergehend, um Manöver abzuhalten. Gemäß OCHA hat das israelische Militär 18% der West Bank, ein Gebiet auf dem mehr als 5000 Palästinenser leben, zum geschlossenen militärischen Übungsgebiet (oder: zur Feuerzone) erklärt.
Die Vierte Genfer Konvention verbietet Israel als Besatzungsmacht den ‘individuellen massenhaften zwangsweisen Transfer’der palästinensischen Bevölkerung in der West Bank, außer dies geschieht zu ihrer eigenen Sicherheit oder aus absolut zwingenden militärischen Gründen. Die Konvention benennt keinen Unterschied zwischen zeitweisen und ständigen Bewohnern einer bestimmten Gegend, sondern bezieht sich auf alle geschützten Bewohner des besetzten Gebietes. Selbst in den Fällen, in denen ein solcher gewaltsamer Transfer erlaubt ist, muss er vorübergehend sein und den Bewohnern muss es erlaubt sein, sobald wie möglich zurückzukehren. Die absichtliche Verletzung dieses Transferverbotes stellt einen schweren Bruch der Genfer Konvention dar und kann als Kriegsverbrechen verfolgt werden.
Das Urteil des israelischen Gerichtshofes vom 3. Januar 2014 hat nicht in Erwägung gezogen, ob das Militär nicht andere, unbewohnte Gegenden zu Trainingszwecken hätte benutzen können, die nicht den gewaltsamen, dauerhaften Transfer palästinensischer Bewohner notwendig gemacht hätten. Auch hat es nicht untersucht, ob militärisches Training einen absolut zwingenden militärischen Grund darstellt, der die zwangsweise und dauerhafte Vertreibung der Anwohnern rechtfertigt.
Das Militär hat auch bestimmte Gegenden der West Bank zu ‘Naturschutzgebieten’ erklärt und dies dann als eine Rechtfertigung für die gewaltsame Vertreibung der dort lebenden Palästinenser genutzt. Im Jahr 2011 befahl das Militär die Zerstörung von Häusern in Qarzalia mit der Begründung, dass sie ohne Baugenehmigung im ‘Naturschutzgebiet’ errichtet worden seien. Dieser Abrissbefehl wurde dann ausgesetzt bis zum Gerichtsentscheid bezüglich der Abrissbefehle, der am 3.12.2013 erging. Das Militär hat circa 10% der West Bank zum Naturschutzgebiet erklärt. Bauen ist hier verboten. Dazu ist zu sagen, dass Naturschutz nicht als Begründung für die Vertreibung der Bevölkerung eines besetzten Gebietes durch die Besatzungsmacht sein kann.
Im Gegensatz zum oben genannten Vorgehen hat das Militär der Siedlung Masu’a, die in der Nähe von Qarzalia liegt, ein großes Areal zugewiesen. Das Militär zerstörte auch nicht die Gewächshäuser, die von den Siedlern ohne Baugenehmigung, in Verletzung israelischen Rechts, gebaut worden waren. Dieser Sachverhalt ergibt sich aus einer militärischen Datenbank, die von Brigadegeneral Baruch Spiegel zusammengestellt und im Jahre 2009 den Medien zugespielt wurde. Nach einem OCHA Bericht haben die Siedler dort Land eingezäunt, auf dem Palästinenser bis dahin ihr Vieh geweidet hatten
Am 29.12.2013 beschloss das israelische Kabinett, ein Gesetz einzubringen, durch das das gesamte Jordantal annektiert wird. Die Medien berichteten, dass Parlamentsmitglieder und Regierungsvertreter der Einweihungszeremonie zum Bau eines weiteren Wohnviertels der Siedlung Gitit im Jordantal beiwohnen würden. Gitit liegt ungefähr 8 Kilometer von Qarzalia entfernt, dem Ort, aus dem die drei palästinensischen Familien vertrieben werden sollen.
Die Medien zitierten den Stellvertretenden Verteidigungsminister Danny Danon, aus Netanyahus Likud Partei, mit den Worten, dass das Jordantal ein integraler Bestandteil Israels sei.
‘ Militärisches Übungsgebiet’, ‘Naturschutzgebiet’ oder Siedlungsausbau – das Endergebnis ist immer, dass die israelischen Behörden Palästinenser gewaltsam von ihrem Land vertreiben während sie gleichzeitig die Zahl der jüdischen Siedler erhöhen,’ sagte Whitson. Es ist wenig ermutigend, dass Israel das Neue Jahr unbedingt mit einem Kriegsverbrechen beginnen will.’
Quelle: Human Rights Watch
Übersetzung: D. F.
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