18.11.2015
Von Jesse Rubin
Eine palästinensische Familie in der Jerusalemer Altstadt ist ständig von Vertreibung bedroht.
Die Familie Sub Laban wohnt im muslimischen Viertel seit 1953. Ihr einziges Vergehen: sie sind Palästinenser
Rafat Sub Laban ist von Vertreibung bedroht. Der Grund liegt nicht etwa in nicht gezahlter Miete oder darin, dass sich Nachbarn beschwert haben, oder weil sie das Haus verfallen lassen. Nein, die Sub Labans sind von der Vertreibung aus dem Haus, dass sie seit 1953 bewohnen, bedroht, weil sie Palästinenser sind.
Das Haus der Familie liegt im muslimischen Viertel der Jerusalemer Altstadt und sie sind die letzte verbleibende muslimische Familie in der Straße.
Orthodoxe Männer und Frauen gehen durch die Maalot Khaldyya Straße vor Rafats Haus. Wenn man auf der Straße steht, ist die Vielzahl israelischer Fahnen, die an den Fenstern und von den Dächern wehen, nicht zu übersehen.
In einem Interview mit Electronic Intifada im März sprach Rafats Bruder Ahmad von der Angst, die die Familie hat, die unter der Besatzung lebt. „ Immer wenn wir im Haus sind und wir etwas hören – wenn jemand zur Tür kommt oder auch nur vorüber geht, dann haben wir Angst, es könnte die israelische Armee sein,“ sagte Ahmad.
Die Angst ist berechtigt, sie ist normal für palästinensische Familien in Ost-Jerusalem und die Weltgemeinschaft sollte dies nicht akzeptieren.
An einem Frühlingsmorgen im März, als ich durch die Stadt ging, um am Palästina-Israel Journal zu arbeiten, erhielt ich einem Anruf von einem Freund und Aktivisten, der mir mitteilte, dass die Polizei im Begriff sei, eine Familie in der Altstadt zu vertreiben, und dass internationale Präsenz notwendig sei.
Ich ging durchs Damakustor und entlang der Via Dolorosa zum Haus der Sub Labans. Eine Gruppe von ca. 50 Personen wartete auf der Straße in angespannter Atmosphäre, zumal es wärmer wurde.
Die Sub Labans hatten am Abend zuvor die Nachricht erhalten, dass sie am folgenden Tag vertrieben werden würden. Dies war der zweite Versuch der israelischen Behörden, die achtköpfige Familie aus dem Haus zu entfernen, und wie zuvor, bemühten sich Ahmad und sein Rechtsanwalt, eine einstweilige Verfügung zu erlangen bevor das Räumkommando eintraf.
Glücklicherweise wurde der einstweiligen Verfügung stattgegeben, und die Sub Labans konnten für die nächsten Monate in ihrem Haus bleiben.
Dann aber, in der ersten Novemberwoche erhielten Nora und ihre Familie ein Schreiben von der israelischen Räumungsbehörde, in dem der 30.11.2015 als Datum für die Zwangsräumung festgesetzt war. Wir brauchen keine Wortklauberei zu betreiben: Es gibt keine legalen Gründe, die Familie Sub Laban zu vertreiben. In ihrem Fall, wie auch in vielen anderen Fällen von Palästinensern im muslimischen Viertel geschehen die Vertreibungsversuche nicht auf Betreiben der Behörden, sondern sie sind auf die Bestrebungen einzelner Personen zurückzuführen.
Bald nach der Errichtung des Staates Israel im Jahre 1948 mietete die Familie Laban das Haus im Jahre 1953 von einer jordanischen Behörde als ‚geschützte Mieter’. Diese Behörde war zuständig für Immobilien, die von Juden im Jahr 1948 in der West Bank verlassen wurden. Juden zogen aus der West Bank weg oder wurden von dort vertrieben und siedelten sich auf dem Gebiet des neu entstandenen Staates Israel an. In der Zeit von 1953 bis zum Sechs-Tage-Krieg mit Jordanien und der darauf erfolgenden Besetzung von Ost-Jerusalem, war die Wohnung unter dem gesetzlichen Schutz Jordaniens.
Aber nach dem Krieg wurden die Immobilien in Ost-Jerusalem der Autorität der israelischen Behörde für Immobilien, deren Besitzer abwesend sind, unterstellt. Dennoch blieben die Sub Laban dort als ‚geschützte Mieter’ wohnen, d.h. sie sind legale Mieter und sind vor Mieterhöhung und Räumung geschützt. Während Siedler, die der Ateret Cohanim angehören, (Ateret Cohanim ist eine religiös-zionistische Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die jüdische Präsenz in Ostjerusalem, vor allem in der Altstadt, zu erneuern und zu verstärken), damit begannen, sich Immoblien rund um das Haus der Sub Labans anzueignen, hielt die Familie an ihrem Haus fest.
Erst im Jahre 2010, als das Haus von der oben erwähnten israelischen Behörde an Ateret Cohanim übertragen wurde, entwickelte sich die gegenwärtige Situation. Mit dem Slogan ‚Macht die Altstadt wieder jung’ ist es kein Wunder, dass es Ateret Cohanim gelang, in den Besitz des Hauses zu kommen. Der Gruppe und anderen Gruppen wie sie schwebt ein völlig judaisiertes muslimisches Viertel und Groß-Jerusalem vor. Das haben sie klar gesagt.
Nahezu ungestraft von der israelischen Regierung haben israelische Siedlergruppen gut gefüllte Kriegskassen, und daraus bezahlte Rechtsanwälte um Rechtsstreitigkeiten durchzufechten.
Natürlich ist die Vertreibung von Zivilbevölkerung in besetztem Gebiet ein Bruch des humanitären Völkerrechts. Letzteres jedoch betrachten israelische Gerichtshöfe eher als ein Ärgernis denn als eine einzuhaltende gesetzliche Vorschrift. Über 250000 Palästinenser sind seit 1967 im besetzten Ost-Jerusalem vertrieben worden.
Rafat und seine Familie haben eine beeindruckende Kampagne geführt, in deren Rahmen sie sich auch an ausländische Regierungen gewandt haben. Damit hatten sie bislang Erfolg.
Heute, am 18.11.2015 haben sie wieder eine einstweilige Verfügung erhalten und erwarten nun die Entscheidung des Obersten israelischen Gerichtshofes.
Im Interview mit der AH Tribune vermutet Rafat den Grund für die jüngste Verfügung darin, dass das Gericht zu dem Fall von verschiedenen Diplomaten, aber auch von der israelischen Regierung befragt worden ist. Er vermutet, dass öffentlicher Druck hilfreich sein könnte.
Aber die Familie Sub Laban lebt weiterhin in Unsicherheit. Die Räumungsverfügung ist nicht widerrufen worden, sondern wieder einmal nur aufgeschoben worden und es ist durchaus möglich, dass sie schließlich ihr Zuhause verlieren werden.
Solange sich die internationale Öffentlichkeit sich taub stellt gegenüber den israelischen Vergehen an den Palästinensern und gegenüber dem langfristigen Traum der israelischen Regierung von einem jüdischen Jerusalem und von einer Gesellschaft, zu der keine Palästinenser gehören, solange macht die Weltöffentlichkeit sich mitschuldig an diesen Vergehen.
Jesse Rubin
Jesse Rubin ist ein amerikanischer freiberuflicher Journalist und Photograph, der zur Zeit in New York lebt. Sein Fokus liegt auf dem israelisch-palästinensischen Konflikt und seine Arbeiten sind erschienen bei Electronic Intifada, Mondoweiss und im Palästina-Israel Journal.