Jeff Halper
‚Bösgläubigkeit und erfolgloses Konfliktmanagement’ – das ist die Überschrift, die ich den außerordentlichen Ereignissen der letzten Tage geben würde: Die Abstimmung im UN Sicherheitsrat, mit der die israelische Siedlungspolitik verurteilt wird; Kerry’s Rede über die Notwendigkeit, die Zwei-Staaten-Lösung zu retten, und Netanyahus Reaktion auf beides. Die Tatsache, dass weder Kerry noch die internationale Gemeinschaft über die nicht mehr realisierbare Zwei-Staaten-Lösung hinausblicken, zeigt zwei Dinge:
Erstens: Der einzige Grund, weshalb die Zwei-Staaten-Lösung nicht erreicht werden kann liegt in dem mangelnden Willen der internationalen Gemeinschaft – mit den USA an der Spitze – Israel dazu zu zwingen, sich aus den besetzten 22% des historischen Palästina zurückzuziehen, die es besetzt hält. Die Anklage, dass die Palästinenser in den vergangenen Jahren während der Verhandlungen nicht kompromissbereit waren, ist geradezu lächerlich. Allein die Tatsache, dass sie die Zwei-Staaten-Lösung akzeptierten zeigt doch, dass sie bereit waren, 78% ihres Heimatlandes aufzugeben. Wenn sie sich dann weigern, noch mehr von dem verbliebenen Rest abzugeben, so kann man das wohl kaum als Kompromisslosigkeit bezeichnen! Dennoch, weder die USA noch irgendeine andere Regierung noch die UN haben Israel jemals mit einschneidenden Sanktionen für den Fall gedroht, dass es in den besetzten palästinensischen Territorien (OPT) bleibt. Warum ist das so? Die USA und Europa haben Russland mit Sanktionen belegt als es die Krim übernahm. Warum darf Israel die Besetzten Gebiete behalten? Kerry sprach sich in seiner Rede sogar gegen BDS, die Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung der Zivilgesellschaft aus. Solange es an dem Willen fehlt, Israel zu zwingen, aus den Besetzten Gebieten abzuziehen und Sanktion nicht stattfinden, wird Israel gewinnen.
Zweitens: Regierungen lösen keine Konflikte; sie verwalten sie nur oder machen sie noch schlimmer, wenn sie Partei ergreifen – da braucht man nur nach Syrien zu schauen. Wenn die Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr realisierbar ist, dann deshalb, weil die USA und andere Regierungen nichts getan haben, um die Landnahme, den Siedlungsbau, die Einpferchung der Palästinenser in winzige Enklaven der A-, B- und C-Zonen sowie in Gaza, die Zerstörung der palästinensischen Wirtschaft, Hauszerstörungen, israelischen Autobahnbau und die Errichtung einer entsprechenden israelischen Infrastruktur zu verhindern, durch die die Besetzten Gebiete Israel einverleibt wurden. Man braucht nur auf die Karte zu schauen, die ich von Israels Kontrollmatrix erstellt habe, um zu sehen, das nichts von dem übrig ist, was einmal ein palästinensischer Staat hätte sein sollen.
Israel hat aber nicht nur die Zwei-Staaten-Lösung eliminiert. Wir haben, wovor Kerry uns gewarnt hat: einen Apartheidsstaat. Israel hat sich über 85% des historischen Palästina ausgedehnt. Die Palästinenser, die heute die Hälfte der Bevölkerung des Landes ausmachen (und zwar ohne die Rückkehr der Flüchtlinge), sind in Enklaven auf 11% des Landes eingepfercht – Kerry benutzte das Bild eines Schweizer Käses. Sie haben keinerlei zivile-, nationale- und Menschenrechte.
All dies zeigt ‚Bösgläubigkeit’ auf Seiten der Regierungen. Wie Kerry, so reden sie alle von ‚beiden Seiten’. Es ist eine falsche Symmetrie, und sie wissen es genau. Palästinensischer Widerstand wird als ‚Gewalt’ und ‚Terrorismus’ bezeichnet, während der Terror israelischer Siedler gegenüber den Palästinensern, unterstützt von offiziellem, pro-aktivem Staatsterrorismus der israelischen Armee, sowie die Politik der Vertreibung und Hauszerstörungen von Kerry und Co. als ‚legitime Sicherheitsmaßnahmen’ und ‚das Recht Israels, sich selbst zu verteidigen’ bezeichnet werden. Das ist ‚Bösgläubigkeit’. Wenn man versucht, eine Symmetrie zwischen dem Unterdrücker und den Unterdrückten vorzugaukeln, besonders, wenn es sich bei ersterem um einen Staat mit einer der mächtigsten Armeen der Welt handelt (und um eine Nuklearmacht dazu), dann ist das nicht nur Einfallslosigkeit, es handelt sich vielmehr um bewusstes Lügen.
Die Politik der verschiedenen israelischen Regierungen ist ebenfalls ein Beispiel solcher Lügerei – wobei allerdings die von Izak Shamir und die seines Clones, Netanyahu den großen Preis gewinnen. Netanyahus Antwort auf das UN Votum und die Rede Kerrys passte gut zu Trumps Ideologie des Postfaktischen: Der wirkliche ‚Grund’ weshalb der Konflikt nicht gelöst werden kann sind nicht die Siedlungen oder die Besatzung, sagt Netanyahu, sondern die Weigerung der Palästinenser, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen. ( Kerry meint das Gleiche, wenn er sagt, dass Israel ‚jüdisch und demokratisch’ sein könne – ein offensichtlicher Widerspruch in sich.)
Tatsächlich aber – und dies ist wichtig im Kopf zu behalten, weil ‚pro-israelische’ Apologeten dies bis zum Erbrechen thematisieren werden – haben die Palästinenser den STAAT ISRAEL bereits vor 30 Jahren anerkennt. Das war die Basis für den Osloer Friedensprozess. Dann hat Netanyahu die Hürden erhöht: Die Palästinenser sollten Israel als JÜDISCHEN Staat anerkennen. Das hat Israel sonst von keinem anderen Staat verlangt (auch nicht von Ägypten oder Jordanien). Eine solche Anerkennung hätte die bürgerlichen Rechte palästinensischer Bürger Israels eingeschränkt, die dort ja gerade um gleiche Rechte in einer normalen Demokratie kämpfen. Und was den Charakter Israels angeht, so sollte das eine innere Angelegenheit sein, die palästinensische Nicht-Bürger nun wahrlich nichts angeht. Ob die USA offiziell eine weiße, christliche Ethnokratie werden oder sich bemühen, ihren multikulturellen Charakter zu bewahren, das geht sicherlich jedermann etwas an. Aber entscheiden können das nur die Amerikaner selbst, niemand sonst. Zu fordern, dass die Palästinenser Israel als ‚jüdisch’ anerkennen sollen, ist lediglich ein weiterer Trick Netanyahus, mit dem er den Palästinensern die Verantwortung für das Stagnieren zuzuschieben versucht. Die Obama-Regierung ist darauf hereingefallen. Interessant ist übrigens, dass, als Netanyahu dies zum ersten Mal Bush und Condolezza Rice vorschlug, sie ihn auslachten.
Ein gerechter Frieden wird nicht von Israel ausgehen (‚Bösgläubigkeit’) und auch nicht von Regierungen (Konfliktmanagement und Bösgläubigkeit), auch nicht von der kollaborierenden palästinensischen Autonomiebehörde (Es ist wirklich traurig, dass Abbas, anstatt an der Diskussion teilzunehmen, nur einen Einzeiler veröffentlicht hat, in dem er sagt, das er die Verhandlungen wieder aufnehmen wolle, wenn Israel den Siedlungsbau stoppe. Die PA ist überhaupt nicht im Bilde). Eine gerechte Lösung wird nur kommen – da wiederhole ich mich – wenn die Palästinenser und ihre israelischen Verbündeten zusammenkommen und daran gehen, die Situation vorausschauend, vertrauensvoll und entschlossen gerecht zu lösen.
Und es wird sich um EINEN Staat handeln, einen bi-nationalen, demokratischen Staat, weil dies die einzige Option ist, die uns Netanyahu und Kerry gelassen haben.
29.12.2017