Daheim ist Daheim
Jean Riesman, eine amerikanische Teilnehmerin an ICAHDs Wiederaufbaucamp 2015 informiert über Hauszerstörungen in Dahmash, einem nicht anerkannten palästinensischen Dorf innerhalb Israels, in dem jedes Haus einen Abrissbefehl hat.
Die Trümmer der Häuser, die im April 2015 im palästinensisch-israelischen Dorf Dahmash zerstört worden waren, konnte man noch neben den an ihrer Stelle trotzig neu errichteten Gebäuden sehen. Vor einer Tür lag eine Matte mit der Aufschrift : Daheim
Am 4. August 2015 wurde dieses neuerbaute Haus, zusammen mit dem ebenfalls gerade neu errichteten Nachbarhaus, erneut zerstört
Das galt für das Haus und seine Bewohner nicht lange: Die Häuser wurden am 4. August erneut zerstört, wenige Tage, nachdem wir, als Mitglieder des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD) Dahmash besuchten und uns über den alltäglichen Überlebenskampf der Dorfbewohner informierten. Das Dorf liegt am Rande von Tel Aviv, in der Nähe des Flughafens, eingeklemmt zwischen zwei dem Dorf feindlich gesonnenen israelischen Gemeinden, neben einer Bahnstrecke ohne gesicherten Bahnübergang. Jedes Gebäude im Dorf hat einen Abrissbefehl – eine deutliche Botschaft der Israelis an die Bewohner, dass es für sie hier kein Zuhause gibt.
Über 46000 palästinensische Häuser sind seit 1967 durch die israelischen Behörden diesseits und jenseits der zunehmend bedeutungsloser werdenden Grünen Linie bereits zerstört worden. Blickt man weiter in die Vergangenheit zurück, dann handelt es sich gar um 120000 Häuser von Palästinensern, die seit der Gründung des Staates Israel zerstört worden sind. Die Trümmer erstrecken sich über die besetzten Gebiete in der West Bank, Ost-Jerusalem und Gaza. Sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten innerhalb des heutigen Israel hat der ‚Bulldozerismus’ (Das Wort erklärt sich selbst) Stahlbetonsäulen und Betonblockkonstruktionen und die wackeliger gebauten, ärmlicheren Unterkünfte für Mensch und Tier zerstört. Israel stellt die unerbittliche Zerstörung als routinemäßige Durchsetzung von Gesetzen über die Landnutzung im Rahmen von Baugenehmigungen und Gesamtkonzepten dar.
Aber Dahmash befindet sich unter regulierter Belagerung, die nichts anderes zum Ziel hat, als allen palästinensischen Gemeinden die Grundlage zu entziehen. Es handelt sich um eine sorgfältig geplante Strategie, mit der die Absicht verfolgt wird, dauerhaft 20% der Bevölkerung des Landes zusammenzudrängen, zu stören und zu vertreiben – so erzählte es uns Arafat Ismail, der langjährige Führer der örtlichen Widerstandsbewegung. „Wir leben hier wie Geister,“ sagt er.
Arafat Ismail , der Führeer der Widerstandsbewegung des Dorfes Dahmash erklärt die verzeifelte Situation des ’nicht anerkannten‘ Dorfes.
Obwohl vertriebene Palästinenser nach dem 48iger Krieg hier vom Staat Israel angesiedelt wurden, (einschließlich Ismail’s Vater, der 1951 hierher kam, nachdem er ein Ultimatum der Israelis („nimm das Angebot an, oder Du bekommst gar nichts“) akzeptiert hatte)) und obwohl alle 700 Bewohner von Dahmash israelische Staatsbürger sind, handelt es sich bei Dahmash um ein ‚nicht anerkanntes’ Dorf – in der langen Reihe von Einschränkungen für palästinensische Wohnbezirke eine fatale Kategorie. Bewohner solcher Orte erhalten keinerlei Dienstleistungen von den örtlichen Behörden, d.h. keine Müllabfuhr, keine Stromversorgung, keine Adressen, keine Wasser- und Abwasserversorgung, keine Parks, keine Schulen.
Ismail hat zwei Kinder mit Entwicklungsstörungen. Er zog vor Gericht damit sie eine nahegelegen Sonderschule besuchen könnten. Das Gericht entschied, der Gemeinderat müsse ihnen eine ‚Schulplatz geben und für den Transport zur Schule sorgen, doch nichts ist geschehen. Ein früherer Vorsitzender des Gemeinderates leugnete, dass es Dahmash überhaupt gebe, und in der Tat taucht Dahmash nicht in israelischen Unterlagen auf. Alle Familien, die in Dahmash leben, haben ein und dieselbe Adresse: die eines Hauses in einer anderen Stadt, das bereits vor Jahren wegen eines Verkehrsprojektes abgerissen wurde. Der Grundbesitz von Dahmash ist in einem Dschungel von bürokratischen Fallstricken unauflösbar gefangen – Stadtplanung in der Art einer Möbiusschleife – , so dass alle Versuche, klare Regelungen für Landbesitz, Bebauungspläne und Baugenehmigungen zu erlangen, ins Leere laufen. ‚Jeder einzelne Versuch, gesetzliche Klarheit zu erhalten, ist bislang zurückgewiesen worden, bzw. wurde mit Gewalt beantwortet.’
Technisch gesehen, nach Gesetzen aus der Zeit des britischen Mandates vor der Staatsgründung Israels, galt das gesamte Land von Dahmash als Ackerland. Ismail sagte uns, dass umgesiedelten Palästinensern wie seinem Vater ‚Land ohne Häuser’ gegeben wurde ‚und ihnen verboten wurde, zu bauen’. Darüber hinaus, selbst wenn die Besitzrechte eindeutig bei israelischen Behörden dokumentiert sind, erkennt Israel sie nicht als legal an. Ausführliche Bauanträge und Anträge auf Zonenveränderung werden abgelehnt, die folgenden Einsprüche und Gerichtstermine kosten Geld und Zeit der Einwohner. Einige bauen dann trotzdem, ohne Genehmigung, und Abrissbefehle folgen. Einsprüche gegen Abrissbescheide bedeuten die erneute Einschaltung von Anwälten und Anhörungen vor Gericht. Zur gleichen Zeit erhalten rund um Dahmash herum jüdische Wohn-und Gewerbegebiete die Erlaubnis zur Nutzungsabweichung – mitunter sogar im nachhinein – und bilden sich kreisförmig rund um Dahmash. Im Jahre 2007 erstellte Dahmash einen Bebauungsplan, wie es das israelische Gesetz zur Landnutzung vorsieht, aber er wurde 2010 abgelehnt. Gewählte Gemeindevertreter, so erzählte uns Ismail, teilten ihm mit, die Leute aus Dahmash sollten einfach weiterhin ihre Tomaten anpflanzen und sich einen Bulldozer mieten, der die Häuser, in denen sie wohnen, niederreißt.
Arafat Ismail vor den Trümmern der im April 2015 zerstörten Häuser in Dahmash
Die Hauszerstörungen vom 15. April 2015 begannen um 4.00 Uhr morgens, trotz einer Entscheidung des Obersten israelischen Gerichtes, in der eine Einigung zwischen den Bewohnern und den Behörden bezüglich der Landnutzungsrechte gefordert wird, und trotz einer Entscheidung des Bezirksgerichtes, dass der Staat seine Abbruchpläne aussetzen müsse. Ein Militärhubschrauber kreiste über dem Dorf ab Mitternacht. Bewaffnete Soldaten in Kampfanzügen umstellten jedes Haus und den Bewohnern wurde eine Ausgangssperre auferlegt. Ismails Bruder schaute aus dem Fenster und wurde sofort mit Pfefferspray besprüht. Ein Kind, das die Hintertür aufgemacht hatte, wurde mit einer Pistole geschlagen und bedroht, während ein anderer Teenager traumatisiert wurde, indem ihm ein Soldat sagte,’ Siehst dies Haus hier? Wir werden es abreißen, und dies, und das andere , und das.’ Er schläft jetzt jede Nacht bei seinen Eltern.
Diese Überfälle sind gang und gebe in den besetzten palästinensischen Gebieten, in denen Hauszerstörungen ebenfalls als verwaltungsrechtlich einwandfreie Reaktionen auf Bauen ohne Baugenehmigung maskiert werden. Zusätzlich werden sie noch als notwendiger Teil des israelischen Sicherheitskonzeptes gerechtfertigt: als kollektive Bestrafung der Familien von Menschen, die als Terroristen bezeichnet werden, als das Freimachen von militärischen Übungsgebieten und Naturschutzgebieten. Hierzu gehört auch der Versuch, auch in Israel selbst, das Nomadentum der Beduinen abzuschaffen und Schutzzonen für die Siedlungen zu errichten, deren Verletzlichkeit durch ihre illegale Ansiedlung von Israel selbst verursacht worden ist.
Auf beiden Seiten des Grenzzaunes ist die Absicht diesselbe: Die Palästinenser sollen vertrieben werden. Und die unvorhersagbare furchtbare Erfahrung ist die gleiche.
‚Innerhalb Israels ist die Sachlage nicht anders als außerhalb.’ Fasst Isamil zusammen. ‚ Vielleicht ist es innerhalb etwas schwieriger, weil die Öffentlichkeit gar nicht Bescheid weiß, was hiergeschieht.’
Hier, d.h. im Zentrum des Staates Israel wo es für ihn kein ‚ daheim’ geben soll.