Das institutionalisierte Böse
Amos Gvirtz
Amos Gvirtz Amos Gvirtz ist ein israelischer Friedensaktivist aus dem Kibbuz Shefayim an der Mittelmeerküste nördlich von Tel Aviv. Er ist ein Gründer von Palestinians and Israelis for Non-Violence (Palästinenser und Israelis für Gewaltfreiheit), ein früheres Mitglied des Lenkungsausschusses des Internationalen Versöhnungsbunds und Vorsitzender des Komitees gegen Hauszerstörungen (Committee Against House Demolitions-ICAHD).
Ich schreibe diese Zeile in einem seit Tagen andauernden Zustand der Anspannung.
Israelische Soldaten kamen in das palästinensische Dorf Al Hadidiya im Jordantal nahe der Siedlung Ro’i und begannen, die Schotterstrassenzufahrt zum Ort zu zerstören. Aufgrund einer gerichtlichen einstweiligen Verfügung musste diese Aktion der Soldaten eingestellt werden. Am folgenden Tag kamen die Soldaten erneut und zerstörten die Unterkünfte und Viehställe von drei Familien vollständig. In den Folgetagen kamen die Soldaten immer wieder und zerstörten oder beschlagnahmten Zelte, die die Bewohner vom Roten Kreuz als erste Hilfe erhalten hatten. In ihrer Not bedeckten sich die Bewohner zum Schutz gegen Nässe und Kälte mit Plastikplanen, doch auch diese wurden ihnen mitten in der Nacht von den Soldaten weggenommen, sodass die Männer, Frauen und Kinder vollständig den Unbilden des Wetters ausgesetzt waren.
Traurigerweise ist dies kein Einzelfall. Solche Vorkommnisse passieren dauernd im palästinensischen Jordantal, in den Hügeln südlich von Hebron, in der Zone E1 (nahe Jerusalem) usw. Es handelt sich nicht um die Taten eines einzelnen bösen Psychopaten, sondern dies ist staatliche Politik. Diese Politik hat das Ziel, so viele Palästinenser wie möglich aus der C-Zone (die unter vollständiger israelischer Kontrolle ist) zu vertreiben und sie zu zwingen, in die A- oder B-Zonen (teilweise unter palästinensischer Kontrolle) in der West Bank überzusiedeln. Das geschieht, damit, wenn Israel schließlich die C-Zone annektiert, dort so wenig Palästinenser wie möglich leben.
Solche Aktionen geschehen nicht nur in den Besetzten Gebieten, sondern auch in der Wüste Negev. Dort zerstören israelische Regierungsbeamte pro Jahr mehrere Hundert Unterkünfte von Beduinen. Auch dort geschieht dies, um sie aus ihren Dörfern zu vertreiben und sie in sogenannten Townships zu konzentrieren.
Beachtenswert ist, dass alle diese Dinge im Namen des ‚Gesetzes’ passieren.
Israel hat beschlossen, Dutzende von Ansiedlungen, die es in der West Bank lange vor der Besetzung durch Israel gab, nicht anzuerkennen. Später erklärte die israelische Armee dann weite Bereiche zu Truppenübungsplätzen. Überraschenderweise lagen viele dieser Ansiedlungen genau dort! Da sie sowohl nicht anerkannt waren, als auch auf Truppenübungsgebiet lagen, gibt es keinerlei Chance für alte wie auch für neue Gebäude legal zu werden.
Palästinensischen Planungskomitees wurde die Autorität entzogen und auf die Armee übertragen. Natürlich erteilt die Armee keinerlei Baugenehmigung, sodass jeder Versuch, irgendeine Unterkunft zu errichten, illegal ist. Und dann kommen die Soldaten mit ‚legalen’ Abrissbefehlen, zerstören Unterkünfte und Dörfer, sodass die Bewohner schließlich aufgeben und wegziehen. Und das System funktioniert: Langsam geben die Leute auf. So etwas nennt sich dann ‚freiwilliger Transfer’….
Hier noch ein Beispiel von sturen Beduinen, die sich weigern, das israelische Gesetzessystem zu verstehen:
In den frühen 50iger Jahren kam der Militärgouverneur zum Scheich des Stammes der Al Turi, die in der Gegend von Al Araqib lebten, und teilte ihnen mit, dass die Armee die Absicht habe, in der Gegend Manöver abzuhalten. Zu ihrer Sicherheit müssten sie die Gegend verlassen, nach einem halben Jahr, nach dem Ende der Manöver, könnten sie zurückkommen.
Man erlaubte ihnen nicht, zurückzukommen und erließ statt dessen ein Gesetz, wonach Land, das nicht benutzt wurde, – während die Beduinen fort waren – Staatsland wurde. Im Klartext handelte es sich um gesetzlich verbrämten Landraub. Einige Stammesmitglieder wollten diesen Staatsraub nicht akzeptieren und kehrten auf das ihnen gestohlene Land zurück. Ihre Rückkehr wiederum bedeutete einen Gesetzesbruch und wer immer das Gesetz bricht, muss vom Land entfernt werden. Für einen Staat macht es aber nach außen keinen guten Eindruck, wenn er seine eigenen Bürger in Friedenszeiten zwangsweise von ihrem Land entfernt. Was also tun? Man zerstört Ernten, zerstört Häuser und ganze Dörfer. Aber, oh Wunder, einige sturköpfige Bürger weigern sich, zu verstehen, dass sie die Gesetze des Staates brechen und sie bestehen darauf, auf ihrem Land zu bleiben! So demaskieren sie den Staat als Institution, die unmoralische Handlungen im Namen des Gesetzes vornimmt. Weil Umsiedlung dem Image des Staates schadet, werden ‚Gesetze angewendet’, solange, bis die Betroffenen es nicht mehr aushalten und ‚freiwillig’ gehen.
Das Interessante an dieser Strategie ist, dass es bei all diesen bösen Taten keine ‚Opfer’ gibt. Und wenn kein Blut fließt, haben die Massenmedien schlichtweg kein Interesse an den Opfern. Wenn aber die Presse nicht berichtet, dann protestiert auch niemand gegen diese unmoralische Politik. Und so, unbemerkt und ohne große Proteste, findet ein langsamer Prozess der freiwilligen Umsiedlung statt – völlig ‚legal’.