Ein Praktikum bei IHCAD in Jerusalem Publikationsdatum: 12.2.2015
Ich bin Anwältin aus England und arbeite freiwillig als Praktikantin bei ICAHD seit November 2014.
Nach meiner Ankunft hier und nach meiner Konfrontation mit den politischen und sozialen Konflikten in diesem Teil der Welt stellte ich fest, dass ich nacheinander eine Miniversion der 5 Phasen der Trauer durchlaufe: 1. Verleugnung, dass es die Besatzung gibt, dass die Probleme sicherlich übertrieben dargestellt werden, dass keine Regierung legal eine Bevölkerung auf der Basis ihrer Rassenzugehörigkeit von ihrem eigenen Land vertreiben kann, dass es sicherlich einen rationalen, nachvollziehbaren Grund dafür gibt, weshalb Häuser mitten in der Nacht zerstört werden, dass palästinensischen Wohnbezirken Wasser und Elektrizität gesperrt werden, israelischen aber nicht, dass es einen überzeugenden Grund dafür geben muss, weshalb britische Politiker Israels Politik weiterhin unkritisch unterstützen.
Dann begann ich, Menschen zu treffen. Freundliche Menschen , beredsame Menschen, wütende Menschen. Ich erkannte, dass Israel das internationale Recht zu seinem eigenen Nutzen umformt, dass es ein Meister darin ist, die Legende von ‘Terrorismus und nationaler Sicherheit’ zu benutzen, um seine aktive Politik der Vertreibung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes zu verschleiern.
Die 2. Phase, die der Wut, setzte ein. Ich hörte von Menschen wie Atta Jaber aus der Nähe von Hebron und seiner aufgeweckten Familie, wie sie weiterhin standhaft bleiben und dort ‘weiterleben’ wollen, trotz ständiger Fälle von Siedlergewalt direkt vor ihrer Haustüre, Fälle, die selbstverständlich ungeahndet durch die israelischen Behörden bleiben.
Meine Nachforschungen nach Statistiken darüber, wie viele Häuser 1948 während der Nakba zerstört wurden ( 51.500) erinnerten mich daran, wie mit Scheuklappen versehen und zum Schämen vergesslich britische Politiker immer noch sind: Wie können wir es wagen, von ’Terrorismus’ zu reden, ohne anzuerkennen, wieviel von dieser Saat der Ungerechtigkeit, selbst, als die angeblich ‘zivilisierten’ westlichen Länder, im nahen Osten durch unsere politischen Entscheidungen und außenpolitischen ‘Initiativen’ gesät haben. Bei dem Versuch, die Anstrengungen des Widerstandes gegen die Besatzung zu vereinigen, habe ich Interviews mit Menschenrechtsorganisationen wie Zochrot, aber auch mit dem ‘hebräisch-palästinensischen’ Autor und Politiker Uri Davis und israelischen Aktivisten, wie Moriel Rothman geführt, um Pläne für die Zukunft zu schmieden, aber auch über die Wichtigkeit der Gewaltlosigkeit bei Widerstandsaktionen.
Während die Wirklichkeit israelischer ‘Stadtplanung’ sich weiterentwickelt – von der Vertreibung von 7000 Beduinen und Weidegemeinschaften über weitere Hauszerstörungen in Ost-Jerusalem bis hin zu dem Raster von Straßen, die die West Bank durchschneiden und zur immer weiter gehenden Siedlungsexpansion – wurde mir klar, dass in dem Kampf für eine Zwei-Staaten-Lösung eine gewisse Gefahr liegt: Würde sie die Palästinenser in ihren gegewärtigen Bantustans einsperren? Würde Israel wirklich die Kontrolle aufgeben und die ‘Fakten vor Ort’, die es geschaffen hat, verändern? Ist es dafür 15 Jahre zu spät? Kann es Frieden geben zwischen zwei physisch völlig separierten Völkern?
Der Sinn einer bi-nationalen Ein-Staat-Lösung, in der die individuellen und kollektiven Rechte beider Völker innerhalb des Rahmens der Menschenrechte respektiert werden, wurde mir nach diesen Gespächen und nach der Beschäftigung mit Prof. Halper’s Analyse dieses Problems immer klarer.
Meine Entwicklung befindet sich in einer 3., der ‘Verhandlungs-’ Phase. Dies zeigt sich in dem ständigen Ringen von Machtlosigkeit und Elendszustand gegen das intuitive Gefühl, dass jede noch so kleine Anstrengung für Gerechtigkeit zählt, selbst , wenn es keine sichtbaren Erfolge gibt. Quälende Fragen tauchen immer wieder auf, wie zum Beispiel: ‘Was sollten sie – die israelische Gesellschaft/ die internationale Gemeinschaft/ die Palästinenser’- tun , um die Situation zu verändern?’ Oder: ‘Vielleicht tue ich nicht genug, was kann ich noch tun?’ bis hin zu ‘Wo ist die Antwort, wenn alles schon ausprobiert worden ist?’ ‘Vielleicht, wenn ich diesen Bericht schreibe, oder jenes Projekt anfange, wird es eine Antwort geben…’ Die ‘Verhandlungsphase’ macht es erforderlich, sich mit dem Paradox von individueller und kollektiver Veränderung auseinander zu setzen: es hängt nicht die ganze Welt von dir ab, Messias-Komplexe müssen unbedingt vermieden werden; nichts hängt letztlich von deinen Anstrengungen allein ab. Andererseits ist alles wichtig. Jeder Brief, der verschickt wird, jedes Wort, dass gesprochen wird, jedes Pfund, das gespendet wird. Selbst die geringste Reaktion gegen Ungerechtigkeit ist außerordentlich wichtig, besonders, wenn sie so fruchtlos und vergeblich zu sein scheint.
Es gab bei mir Momente von der 4. Und 5. Phase, von ‘Depression’ und von ‘Akzeptanz’, aber ich glaube keine dieser Einstellungen sollten hier zum Tragen kommen, sie führen nur Trägheit und Selbstgefälligkeit. Während ich weiter Berichte und Geschichten schreibe und Vorschläge für Kampagnen untersuche, erinnere ich mich an Henry David Thoreau und seine Aussage: Was Du bekommst, wenn Du Deine Ziele erreichst, ist nicht so wichtig, wie das, was Du dadurch wirst.
Wenn man sich in einer Umgebung befindet, die voller Diskriminierung und Machtmissbrauch, voller Ungerechtigkeit und Unterdrückung ist, dann kann man leicht selbst zynisch, ungeduldig, bitter und fatalistisch werden.
Dafür bietet Walter Wink, Autor des Buches ‘The Powers that Be’ ( die Mächtigen, die da oben) eine wichtige Vision, nach der man streben sollte:
Bösem kann man entgegentreten, ohne selbst Böse zu werden. Unterdrückern kann Widerstand entgegensetzen, ohne selbst zu unterdrücken. Feinde kann man neutralisieren, ohne sie zu zerstören.’